In der Jever Werkstatt von Sabrina Schuhmacher kann man sein blaues Wunder erleben

Zurück in die Zukunft

In einem historischen Haus mitten in der Jever Altstadt steht eine junge Frau vor einem Regal mit alten Holzstücken. Sabrina Schuhmacher ist Blaudruckerin, eine der letzten ihrer Zunft: Wenn sich alle hauptberuflichen Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland treffen würden, meint sie lachend, dann wäre das eher ein kleines Kaffeekränzchen mit einer Handvoll Teilnehmern als eine große Party. Das Handwerk, bei dem Leinen oder Baumwolle blau gefärbt wird und weiße, filigrane Muster auf dem Stoff entstehen, wird in Europa seit fast vierhundert Jahren ausgeübt. Es gehört zum Immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO.

Blaudruckerin Jever
Blaudruckerin Jever
Blaudruckerin Jever
Jever Blaudruckerei

Die Holzblöcke da im Regal sehen aber auch ganz schön alt aus.

Sind sie auch, manche werden schon seit über 350 Jahren eingesetzt. Das sind Modeln, die sind aus Buchsbaum oder Birnbaum. Muss man sich ähnlich wie Stempel vorstellen. Auf der einen Seite sehen sie aus wie normale Holzstücke, aber wenn man sie umdreht ...

Oh!

... sind da fein geschnitzte Muster im Holz. Sieht toll aus, oder? Die Modeln funktionieren genau wie Druckstöcke beim Holzschnitt. Nur entstehen beim Blaudruck eben keine Bilder zum Aufhängen, sondern Muster auf Stoffen.

Von diesen Modeln haben Sie aber ganz schön viele …

Etwa 600 sind es. Die meisten habe ich von meinem Vorgänger übernommen, als ich vor drei Jahren als Blaudruckerin angefangen habe.

Das wollte ich Sie sowieso gleich fragen, bevor wir zum Handwerk selbst kommen: Wie wird man denn Blaudruckerin?

Eigentlich bin ich gelernte Schneiderin und Designerin. Für meine Abschlussarbeit musste ich eine eigene Kollektion entwerfen. Da hab ich nach Handwerken geschaut, die man da mit einbinden könnte – und da hab ich den Blaudruck entdeckt. Ich war sofort Feuer und Flamme! Und dann hat der Besitzer der Werkstatt hier erzählt, dass er seit Jahren erfolglos einen Nachfolger sucht. Ich habe eine Zeitlang überlegt – und dann hatte er eine Nachfolgerin. Seinen Mitarbeiter habe ich natürlich übernommen.

Der Blaudruck stammt ursprünglich aus Indien, dort wächst die Indigo-Pflanze, aus der die blaue Farbe gewonnen wird. Schiffe der Niederländischen Ost-Indien-Kompagnie brachten Farbe und Technik im 17. Jahrhundert nach Europa; von Amsterdam breitete sich der Blaudruck schnell über den Kontinent aus. Bald gab es in jeder Stadt eine Blaudruckerei. Mit der Industrialisierung verschwand die Handwerkskunst dann nach und nach.

Sie retten mit Ihrem Beruf ein Stück Handwerksgeschichte in die Gegenwart, oder?

Ja, das kann man so sagen. Wir bewahren ein Kulturgut vor dem Vergessen. Im Prinzip arbeiten wir hier immer noch wie ein Blaudrucker vor 400 Jahren. Wir verwenden immer noch Indigo, wir drucken mit den alten Modeln immer noch die traditionellen Muster, das komplette Verfahren ist in all der Zeit unverändert geblieben. Das ist nicht überall so. Unter den wenigen Blaudruckereien, die noch existieren, sind auch welche, die mittlerweile Hoppelhäschen-Motive drucken oder synthetische Farbstoffe verwenden. Wir bleiben hier lieber beim Original.

Wie läuft denn so ein Blaudruck ab?

Wir beginnen immer mit einem weißen Stoff. Auf den druckt man mit den Modeln dann erst einmal eine Art Schutzschicht. Also: keine Farbe, sondern eine klebrige Masse aus Gummiarabicum, Tonerde und ein bisschen Kupfer. Das ist der sogenannte Papp, und der trocknet dann auf dem Stoff. Das dauert ein oder zwei Wochen. Wenn alles gut getrocknet ist, kommt der Stoff in ein Indigobad. Und dann erlebt man sein blaues Wunder.

Kommt die Redewendung aus den Blaudruckereien? Das wusste ich gar nicht! Und wieso erlebt man das?

Weil der Stoff aus dem blauen Farbbad gar nicht blau herauskommt – der ist erst einmal gelborange. Dann wird er für ein paar Sekunden grün. Und ein paar Minuten später verfärbt er sich dann blau. Früher haben die Leute das für Zauberei und Hexenwerk gehalten. Dabei gibt es für den Vorgang eine einfache Erklärung: Die Farbe braucht eine gewisse Zeit, um zu oxydieren. Dadurch verändert sie sich, und verbindet sich gleichzeitig mit den Gewebefasern. Das bedeutet: Ich kann den Stoff später kochen, so oft und so lange ich will – er wird immer blau bleiben! Die weißen Muster kommen dann beim Trampeln.

Beim Trampeln? Warum denn beim Trampeln?

Der Papp muss ja noch vom Stoff runter, also die Schutzschicht, die wir mit den Modeln aufgedruckt haben. Deswegen kommt der in einen großen Bottich. Dann ziehe ich meine Gummistiefel an und trampele solange auf ihm herum, bis der Papp sich aufgelöst hat. Die blaue Farbe ist nicht durch den Papp gedrungen, deshalb ist der Stoff untendrunter noch blütenweiß. So entstehen die Muster.

Das ist ja faszinierend! Und dann kann man den Stoff weiterverarbeiten?

Genau. Bei uns gibt es Tischwäsche, Halstücher und Kissen. Ich schneidere aber auch Kleidungsstücke wie Kleider oder Blazer. Inzwischen gibt es auch Kundinnen, die mit ihrer Lieblingsbluse vorbeikommen und sagen: So was hätte ich gerne in Blaudruck. Kein Problem!

Das wäre doch auch möglicherweise eine Marktlücke ...

Ja, genau. Das ist auch so ein bisschen mein Ziel – meine Ausbildung als Schneiderin und Modedesignerin zu nutzen, um noch mehr Menschen für den Blaudruck zu begeistern. Und junge Leute! Das ist ja auch für die Zukunft des Handwerks wichtig. Die nächsten dreißig Jahre stehe ich vielleicht ja noch hier in der Werkstatt – und dann? Da ist es schon beruhigend, wenn man mitbekommt, dass sich nicht bloß Ältere für den Blaudruck interessieren.

Führung Blaudruckerei